St. Johannis
Als Helmut Herrmann mich anrief, weil er gern bei der Aktion Texthaus trifft Nürnberg mitmachen – oder besser: mitgehen – möchte, habe ich mich ganz besonders gefreut. Denn Helmut Herrmann und ich kennen uns überhaupt nicht. Damit ist er der erste Teilnehmer, den ich durch die Aktion kennenlerne. Ist das nicht ganz wunderbar? Helmut Herrmann lebt mit seiner Frau mitten in St. Johannis, ist pensionierter Beamter und heute vor allem Autor. Zwei historische Kriminalromane entstanden bereits, deren Handlung eng mit dem französischen Ort Rennes-le-Château verbunden ist. Und ja, richtig geraten, Urlaub machen Helmut Herrmann und seine Frau am liebsten in Südfrankreich.
Meetingpoint Friedenskirche
Wir treffen uns bei der Friedenskirche. Klare Sache, um meinen Schrittzähler zu beschäftigen, gehe ich zu Fuß, einmal quer durch die Altstadt. Das Wetter ist wunderbar, sonnig und sommerlich. Beim Café Dampfnudelbäck biege ich rechts ab in die Innere Hallerstraße und sehe auch schon die Friedenskirche am Ende der Straße vor mir. Ich bin erstaunt, wie groß und präsent die Kirche ist, denn um der Wahrheit die Ehre zu geben: Bisher habe ich sie nicht bewusst wahrgenommen. Ich bin zu früh, mache auf einer der Bänke im Baumschatten eine willkommene Pause und lasse das alltägliche Leben auf dem Kirchenplatz auf mich wirken. Kinder toben auf dem Spielplatz. Ein anscheinend betrunkener, mindestens aber verärgerter Mann schimpft auf einer Bank neben der Kirche. Eine gelangweilte Gassigeherin mit kleinem Hund ist froh, als sie endlich das Beutelchen zücken, die Hinterlassenschaften beseitigen und wieder heimgehen darf. Ein ziemlich friedliches Idyll, in dem alle ihren Platz finden.
Gespräch im Hesperidengarten
Da kommt auch schon Helmut Herrmann und gleich geht es los. Erst einmal gehen wir zum Hesperidengarten, der sich an diesem Tag von seiner allerschönsten Seite zeigt. Die barocke Pracht, die exakt geschnittenen Hecken, die Skulpturen und der blaue Himmel mit den sanften Wolken sind eine richtige Urlaubskulisse. Das sollte man doch eigentlich viel öfter nutzen, nicht wahr? Wir haben die Pracht aber schnell vergessen und sind schon mitten im Thema. Die Buchwelt, insbesondere der Buchmarkt und Nürnbergs literarische Szene drängen sich schnell in den Vordergrund. Schließlich engagiert sich Helmut Herrmann sehr für die Autorengruppe Wortkünstler Mittelfranken. Die Vernetzung und Präsenz von Autorinnen und Autoren liegen ihm sehr am Herzen. Im Juni waren Mitglieder der Gruppe auf den Nürnberger Texttagen vertreten. In solche Aktivitäten investiert Helmut Herrmann viel Zeit, der organisatorische Aufwand ist hoch.
Spaziergang auf dem Johannisfriedhof
Und dann ist da noch der Garten des Ehepaares, den Helmut Herrmann pflegt. Langeweile kennt der Autor nicht. Im Gegenteil, er kann froh sein, wenn er noch Zeit für seine eigenen schriftstellerischen Projekte findet. Über die plaudern wir auch, während wir über Nürnbergs herrlichen Johannisfriedhof schlendern. Die vielen Rosenbüsche zwischen den Gräbern stehen in voller Blüte und sind ungemein hübsch! Der morbide Charme dieses besonderen Friedhofs verliert für einen Moment seinen eher sanft-versöhnlichen Charakter, als wir an einer Gruppe von Gräbern entlang gehen, unter denen das Erdreich eingebrochen ist. Eigenartig. Was mag die Ursache dafür sein? Immerhin sind es ja sehr alte Grabstellen. Was kann sich da verändert haben? Wir wenden uns den besonders prunkvoll angelegten Grabstellen zu, stellen aber fest, dass wir den neuzeitlichen Geschmack so mancher Angehöriger wohl doch nicht teilen. Mich interessieren die aufwändigen Recherchen, die Helmut Herrmann für seine beiden bereits erschienenen Bücher betrieb, und ich lade den Autor ins Texthaus ein, um die Rosa Runde bei Gelegenheit mit seinen Erfahrungen zu bereichern. Wir dürfen gespannt sein! Kurz bevor wir den Johannisfriedhof wieder verlassen, öffne ich noch meine Wasserflasche. Und zwar mit großen Knall: Der Schraubverschluss fliegt einige Meter in die Luft, landet auf einem Schuppendach und schließlich wieder zu unseren Füßen. Himmel, was da hätte passieren können. Glück gehabt!
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Ansichten und Einblicke
An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich in Kürze die Orientierung verlieren werde im Straßengeflecht von St. Johannis. Das ist bisher auf jeder Texthaus trifft Nürnberg-Tour so gewesen, macht aber nichts, denn ich kann mich ja immer auf kundige Begleitung verlassen. So auch heute. Obendrein fotografiere ich das eine oder andere Straßenschild. Das hilft bei der Rekonstruktion. Wir spazieren jetzt mit einem Schwenk nach Süden durch die Großweidenmühlstraße und die Wiesentalstraße in Richtung Sigena-Treff. Es geht am Westbad vorbei bis zum Ende der Straße, wo wir rechts in die Christoph-Weiß-Straße einbiegen und ich mich für die schmale Unterführung unter dem Mehrfamilienhaus begeistern kann. Ich mag diese kleinen Besonderheiten am Wegesrand oder – wie hier – über der Straße, mit denen man nicht rechnet und die auch nur sehr selten in einem Reiseführer zu finden sind. Ein paar Schritte weiter ist es ein Blumenfenster auf der linken Straßenseite, das keck die Gleichförmigkeit der anderen Fenster überwindet. Wer mag warum die Idee zu diesem Fenster gehabt haben? Ein wenig weiter wird es so richtig grün. Hier genießt das Straßengrün seine Freiheit, Mohn und Kornblumen blühen mitten in der Stadt. Wie gut, dass die Zeit des übereifrigen Rasenmähereinsatzes an vielen Orten vorbei ist und dass Nürnberg immer grüner wird!
Nachbarschaft im Stadtteil St. Johannis
Ein paar Treppen noch und wir stehen vor dem SIGENA St. Johannis. In diesem Nachbarschaftstreff ist Helmut Herrmann ein gern gesehener literarischer Aktivist, der nicht nur Lesungen organisiert, sondern auch literarische Spaziergänge. Wir spazieren derweil an einem kleinen Spielzeuglädchen vorbei, in dessen Schaufenstern sogar noch Puppenstubenmöbel präsentiert werden. Ein Paradies für Kinder und andere verspielte Naturen, das es schon seit 39 Jahren gibt. Bezaubernd, dass die 9 der 39 nachträglich eingefügt wurde. Wird hier vielleicht jedes Jahr das Alter des Ladens angepasst?
Klinikum, Reihenhäuser und Lebkuchen
Neben der Welt der Bücher gab es in Helmut Herrmanns Berufsleben auch andere Aufgaben: Als ehemaliger Beamter der Stadt Nürnberg hat er lange Jahre im Nordklinikum in der Verwaltung gearbeitet. Und so wandern wir dann auch ein wenig am Klinikum entlang, das ich nun aus ungewohnter Perspektive wahrnehme. Wir schlendern durch die von Einfamilien- und Reihenhäusern geprägten Straßenzüge, in denen es sehr ruhig zugeht. Die Gärten machen diesen Teil von St. Johannis zu einer grünen Oase. Zwischen Reihenhäusern fällt der Blick auf die in verschiedenen Grüntönen gestrichenen Produktionsstätten von Schöller und man kann sich gut vorstellen, dass es nicht mehr allzu lange dauert, bis es hier nach Lebkuchen duftet. Vermutlich nicht immer zur Freude der Anwohnerinnen und Anwohner, aber bestimmt zur Freude der Nürnberger Wintergäste.
Stromkasten der Liebe
Uns lockt jetzt erst einmal der kleine Biergarten vom Zeltner Bierhaus. Bei der Hitze muss ja der Flüssigkeitshaushalt ausgeglichen bleiben. Wir plauschen ein wenig im Laubschatten eines großen Baumes und ich erfahre wieder etwas mehr über das Thema Lebensmittelrettung und eine Facebook-Gruppe, die ich leider nicht finde, weil ich den Namen vergessen haben. Naja, der wird mir schon wieder einfallen. Auf dem Rückweg kommen wir noch am Stromkasten der Liebe vorbei. Den habe ich schon geraumer Zeit bei Facebook entdeckt und kann ihn nun endlich auch direkt bewundern. An diesem Stromkasten deponieren Menschen aus der Nachbarschaft, was sie nicht mehr gebrauchen, was anderen aber nützlich sein kann. Es herrscht ein reger Austausch. Wir sehen jede Menge Bücher, eine himmelblaue Nackenrolle, Stiefel, eine rote Jacke und ich freue mich über diese kleine Nachbarschaftsprojekt, das es in Nürnberg doch schon zu einer gewissen Berühmtheit gebracht hat.