Diesen Text, der nicht aktueller sein könnte, habe ich vor Jahren mal geschrieben und beim Ausmisten wiedergefunden. Da die Schönheit immer ein Thema ist, stelle ich heute meine Gedanken dazu online. Sind sie noch aktuell? Ich freue mich über Feedback!
Die Schönheitsfalle
Sie sollen sanft sein. Sie können ziemlich cool sein und manche Exemplare können sogar massieren. Und hinterher hat man noch eine Weile ein sanftes Kribbeln auf der Haut. Sie sollen haben, was Frauen sich von Männern wünschen: Die kleinen, handlichen Epiliergeräte sind aus westeuropäischen Badezimmern nicht mehr wegzudenken. Regelmäßig rückt die Frauenwelt Haaren und Härchen an die Wurzel, reißt sie mit Stumpf und Stiel aus. Und stellt fest, dass Sprichwörter oft von banaler Weisheit sind. Denn wer schön sein will, leidet tatsächlich. Sie leiden heimlich und kollektiv. Gespräche über die Vor- und Nachteile der Epilier-Systeme sind Vier-Augen-Gespräche.
Von Müttern und Töchtern
Selbst pubertierende Töchter, die jedes Schönheitsideal mit ihrem eigenen negieren wollen, die sich das Kopfhaar abrasieren oder in bunten Streifen färben, die alles tun würden, um nur nicht ihren Müttern zu gleichen, greifen zu den schnellen summenden Haarausreißern und beugen sich widerstandslos dem Ideal des haarfreien Beines! Und schlüpfen wie die Mama nach der Prozedur erstmal in ihre Jeans, damit bloß niemand zur Kenntnis nehmen kann, dass die haarfreien Beine nun ein wenig wie gerupfte Weihnachtsgänse aussehen.
Nicht nur Mütter und Töchter gehen in die Falle der Schönheitsideale. Auf dem Weg zum perfekten Körper bevölkern Männer wie Frauen Fitness-Studios, Reformhäuser und Kosmetikstudios. Silikon und Kleie-Tabletten, die Mode der neuen Saison und der momentan gehypte Diätplan sollen dem Körper – und wohl auch der Psyche – auf die Sprünge helfen. Es ist schon verflixt anstrengend, schön zu sein. Und manchmal auch ein wenig schmerzhaft.
Übergrößen für Grazien
Zeitgleich mit Twiggy, dem staksigen Modell aus Brittannien, kamen der Minirock, die Diäten und der Hunger. Neidvoll und hungrig blicken seither manche Zeitgenossen auf die sinnliche Fülle in den Bildern alter Meister. Für Peter Paul Rubens hatten Grazien noch ganz andere Dimensionen als man es sich nach Jahrzehnten, in denen kleine Mädchen mit der Barbie unterm Kopfkissen eingeschlafen sind, vorstellen kann. Die Dienerinnen der Venus, die sich auf Rubens Gemälde „Die drei Grazien“ tummeln, würden heute zügig an Edelboutiquen vorübereilen und Schutz im Fachgeschäft für Übergrößen suchen. Dort ist alles zu haben, was das Zuviel an Körper geschickt verhüllt.
Selbstbewußt und glücklich?
Bei Rubens ist das anders. Da gibt es Falten, weißes Fleisch in Fülle und ohne Hülle, da greift die Hand der mittleren Schönheit in den Oberarm der blonden und versinkt beinahe. Still und gar nicht mal unglücklich schauen Rubens Damen sich an. Was heute geschickt getarnt wird und meist nicht mal im Freibad ans Tageslicht kommt, wird mit einer geschickten Körperdrehung selbstbewusst hergezeigt. Da kümmert sich keine um Zellulitis und das Grübchen am Po. Nein, die Damen scheinen zufrieden mit sich und mit ganz anderen Dingen beschäftigt zu sein. Da fragt man sich doch, ob der große Meister auch Twiggy so ausgewogen auf die Leinwand hätte bannen können? Hätte er überhaupt gewollt oder wären die Vorsprünge ihres Körpers ihm und seinem Schönheitsideal zuwider gewesen?
Der andere Weg …
Wer sich aus dem Kult um die Schönheit ausklinkt, tut dies geschäftige Treiben gern als Konsumterror und Erfindung der Moderne ab. Konsumterror mag es sein, neu ist es allerdings nicht. Reifrock und Wespentaille ließen im 18. jahrhundert den Atem stocken. Der der Damen mit den geschnürten Taillen und der dreieckigen Planchette aus Metall, die für einen flachen Bauch sorgte. Und wohl auch den der Männerwelt, ob vor Bewunderung für die Disziplin der Eingeschnürten oder vor Erschrecken über die vorgetäuschten Umfänge der Hüften – wer weiß?
Ein Subjekt hinter dem Objekt?
Disziplin hin, Konsumterror her – wo sich die einen ins Korsettt der Ideale pressen lassen, kreieren andere ihr Ich neu. Seit Jahrzehnten inszeniert Style-Extremistin Madonna ihren Körper wie ihr Leben. Der erste Blick täuschte viele. Wer Madonna als Spielzeug für Männerfantasien abtat, musste bald feststellen, dass hinter dem Objekt ein tatkräftiges Subjekt steht. Abbild und Vorbild zugleich – egal für welche Rolle sich Madonna entschied, Klischees bedienend und im gleichen Atemzug zurückweisend, setzte sie neue Maßstäbe.
Der neue Madonnenkult
Den Standards der Werte setzte sie ihre Selbstinszenierung entgegen. Ob rote Lippen oder Babybauch, da hat sich kein Rubens und kein namhafter Designer mit seinen Vorstellungen ausgetobt. Nein, da hat eine Frau die Gesellschaft analysiert, genommen, was sie fand, und einen Kult entwickelt. Der neue Madonnenkult ist mehr als ein Körperkult. Es ist die Vergötterung des Ichs, das sich – wie es scheint – über die Trends erhebt und das Ideal der freien Schönheit proklamiert. Nur einen Haken hat die Sache: Wenn der Schönheitskonsens nicht über haarfreie Beine hinausreicht, müssen individuelle Entscheidungen fallen. Wer sich seiner selbst nicht sicher ist, den wird die Qual der Wahl ganz hübsch martern.
Klare Trends schützen
Was nutzt die Freiheit der Entscheidung all jenen, die ein wenig mehr Sicherheit als Madonna brauchen? Machten die Rubenschen Ideen von Frauenkörpern oder Twiggys Maße die Sache mit der Schönheit nicht etwas einfacher? Klare Trends schützen immerhin vor dem Zwang zu Selbsterkenntnis und Entscheidung. Und davor, sich an sich selbst gewöhnen zu müssen. Manche schaffen dieses Kunststück nicht und behelfen sich lieber mit den aktuellen Vorgaben der Schönheitsindustrie.
Schön geschnitten
Ideale sind natürlich um so besser, desto ferner, strahlender und unantastbarer sie sind. Doch mit der Entfernung vom Schönheitsideal wächst der Frust. Und wer nicht Rubens Vorstellungen von Schönheit anhängt, von Twiggy nicht lassen mag oder Madonnas Jüngerinnen nacheifern möchte, legt sich wohl am besten unters Messer. Die Branche boomt. Schönheitschirurgie ist der schnelle Weg zum Glück. Ein paar Schnitte und der neue, edle Körper bringt einen zu Ansehen, Erfolg und der Schönheit näher.
Der Facettenreichtum ist groß
Was so niemand wahrhaben will, darauf stößt Orlan die Welt mit ihrem Reinkarnations-Projekt. Das findet im OP unter dem Messer von Schönheitschirurgen statt. Ein Stückchen Mona Lisa und ein Stückchen Venus von Botticelli, Kamera drauf halten lassen und ein chickes Outfit für das OP-Team. Der Facettenreichtum der Inszenierung erinnert an Madonna – nur beim Tempo ihres Wandels muss Orlan sich aus naheliegenden Gründen ein wenig zurückhalten. Orlan erschafft ihren Körper neu. Der Schmerz wird ausgeklammert. Was zählt ist die Performance. Ob genial oder schwachsinnig, das möge jeder für sich entscheiden.
Körper-Kunst
Der Bildhauer Pygmalion erschuf eine Statue, verliebte sich in sie und hatte Glück, denn Venus erweckte sie zum Leben. Das Objekt der Liebe selber schaffen. So lange wir noch darauf verzichten müssen, Kunstobjekte zum Leben zu erwecken, greifen wir gern auf das zurück, was wir haben, den eigenen Körper. Wir verzieren, verpacken und manipulieren. Steckt nicht in jedem und jeder eine kleine Orlan?
Körper-Kunst
Vielleicht auch in Rubens Grazien? So natürlich ihre Körper auf den ersten Blick auch scheinen – ungeschmückt hat Peter Paul Rubens sie uns nicht hinterlassen. Auch wenn sie den Bauch nicht einziehen, die Haare sind gebunden und die Tücher kunstvoll drapiert. Doch die weißen Körper mit ihren Grübchen und Wölbungen sprechen trotzdem nicht die Sprache Orlans. Nein – ihr Ausdruck ist viel zu entspannt, als dass man vermuten könnte, sie würden sich und ihren Körper in Frage stellen. Rubens gab Schönheit und entschied über Schönheit. Die Grazien sind so schön, wie Rubens sie erdenken konnte – fertig. Die idealen Schönheiten entsprechen dem Ideal ihres Schöpfers. Da ist es nur folgerichtig, dass die Damen stille halten. Das unterscheidet sie von Orlan wie von Madonna, die selbst über ihren Körper entscheiden und eben überhaupt nicht still halten.
Entspannung
Die Grazien haben keinen Körper, sie sind Körper. Und sie sind zufrieden mit ihrem Körper. Da kann es ihnen heute wie vor über 300 Jahren ganz egal sein, welchen Eindruck ihr Po auf dem Sofa, bei der Schneiderin oder beim Liebsten hinterlässt. Kein Wunder, dass die drei so sexy wirken. Wer sich beim Sex keine Gedanken darüber machen muss, wie sein Körper beim Partner ankommt, hat freie Bahn. Der kann sich dem Körpergenuss hingeben und kommt nicht kurz vorm Orgasmus auf die Idee, den Bauch einzuziehen. Glücklich, wer so locker ist. Den meisten modernen Menschen macht ihr Körper jedoch mehr Kopfschmerzen als Spaß.
Zwischen Kleiebrei und Fitness-Studio
Nicht nur den Chirurgen lässt man daher den Körper manipulieren. Die breite Masse nutzt unauffälligere Wege. Weder Jojo-Effekt noch ständiges Wechseln der Kleidergrößen halten figurbewusste Zeitgenossen davon ab, auch noch die achte Diät des Jahres zu erleiden, Kleiebrei zum Frühstück zu verspeisen oder sich ganz schlicht mit Mineralwasser und Vitamintabletten über Wasser und auf Linie zu halten. Das Spiel findet seine Fortsetzung auf der Sonnenbank und im Fitness-Studio. Für den perfekten Körper tun manche alles und leiden darunter, dass immer nur die anderen all diese Probleme nicht haben.
Unvergängliche Geschmacksmuster?
Das bringt jede Menge Schönheits-Stress. Vom Wechsel der Moden ganz zu schweigen. Wie beruhigend, dass manche Geschmacksmuster unvergänglich zu sein scheinen. Oder sind an Rodins Küssenden etwa Körperhaare zu entdecken? Nun gut, das ist Marmor. Aber auch bei den drei Grazien ist diese unliebsame Zutat der Natur nicht eindeutig auszumachen. Warmwachs könnte des Rätsels Lösung sein. Hätten Rubens Grazien sich etwa für den Epilierer begeistert?
Ich hoffe, Sie hatten Spaß an diesem kurzen Exkurs. Sollten Sie auch mal einen Text über Schönheit oder einen anderen, gern kritischen Text brauchen, sprechen Sie mich gerne an. Andrea Himmelstoß